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  • 1796
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Denn beide, hatte gleich das Elend ihre Blüthe Halb abgestreift, verriethen durch Gestalt Und Sinnesart, wo nicht ein königlich Geblüte, Doch sichrer einen Werth, dem selbst die Allgewalt Des Glücks nichts rauben kann vom reinen Vollgehalt Der innern angebornen Güte.

33
Schon dreymahl wechselte der Tag sein herbstlich Licht, Seit diese Freystatt sie in ihrem Schooße heget, Und beide können noch sich des Gedankens nicht Entschlagen, daß der Greis, der sie so freundlich pfleget, Kein wahrer Greis, daß er ein Schutzgeist ist, Vielleicht ihr Oberon selbst, der ihres Fehls vergißt, Und, da sie schwer genug (däucht sie) dafür gebüßet, Bald wieder glücklich sie zu machen sich entschließet.

34
Nun schwindet zwar allmählich dieser Wahn, Und ach! mit ihm stirbt auch, nicht ohne Schmerzen, Die Hoffnung die er nährt; doch schmiegen ihre Herzen Sich an ein Menschenherz nur desto stärker an. Es war so sanft das Herz des guten Alten, So zart sein Mitgefühl, sein innrer Sinn so rein, Unmöglich konnten sie sechs Tage um ihn seyn Und länger sich vor ihm verborgen halten.

35
Der junge Mann, im Drang der Dankbarkeit Und des Vertrau’ns, (zumahl da ihn zu fragen Sein Wirth noch immer säumt) eröffnet ungescheut Ihm seinen Nahmen, Stand, und was, seit jener Zeit, Da er zu Montlery des Kaisers Sohn erschlagen, Bis diesen Tag mit ihm sich zugetragen;
Durch welchen Auftrag Karl den Tod ihm zugedacht, Und wie er glücklich ihn mit Oberons Schutz vollbracht;

36
Und wie in einem Traum die Liebe sich entsponnen, Die ihn beym ersten Blick mit Rezia vereint; Wie er mit ihr aus Babylon entronnen,
Und das Verbot, das sein erhabner Freund Ihm auferlegt, und wie, so bald er dessen In einem Augenblick von Liebesdrang vergessen, Die ganze Natur sich gegen sie empört
Und ihres Schützers Huld in Rache sich verkehrt.

37
Wohl, spricht der edle Greis, wohl dem, den sein Geschick So liebreich, und zugleich so streng, als dich, erziehet, Den kleinsten Fehltritt ihm nicht straflos übersiehet, Wohl ihm! denn ganz gewiß, das reinste Erdenglück Erwartet ihn. Auf Herzen wie die euern
Zürnt Oberon nicht ewig. Glaube mir, Mein Sohn, sein Auge schwebt unsichtbar über dir; Verdiene seine Huld, so wird sie sich erneuern!

38
Und wie verdien’ ich sie? mit welchem Opfer still’ Ich seinen Zorn? fragt Hüon rasch den Alten; Ich bin bereit, es sey so schwer es will! Was kann ich thun?–Freywillig dich enthalten, Antwortet ihm Alfons; was du gesündigt hast Wird dadurch nur gebüßt.–Der junge Mann erblaßt. Ich fühl’ es, spricht der Greis mit sanft erröthender Wange; Allein, ich weiß von wem ich es verlange!

39
Ein edles Selbstgefühl ergreift den jungen Mann: “Hier hast du meine Hand!” Mehr ward kein Wort gesprochen. Und wohl ihm, der, nach mehr als hundert Wochen, Sich selbst das Zeugniß geben kann,
Er habe sein Gelübde nicht gebrochen! Es war der schönste Sieg den Hüon je gewann. Doch hat er oft die Furcht vorm Alten zu erröthen, Oft Rezia’s standhaftem Ernst vonnöthen.

40
Nichts unterhält so gut (versichert ihn der Greis) Die Sinne mit der Pflicht im Frieden,
Als fleißig sie durch Arbeit zu ermüden; Nichts bringt sie leichter aus dem Gleis Als müß’ge Träumerey. Um der zuvor zu kommen, Wird ungesäumt, so bald der Tag erwacht, Die scharfe Axt zur Hand genommen,
Und Holz im Hain gefällt bis in die dunkle Nacht.

41
Noch eine Hütte für Amanden aufzurichten, Und Dach und Wände wohl mit Leim und Moos zu dichten, Dann zum Kamin, der immer lodern muß,
Und für den Herd, den nöthigen Überfluß Von fettem Kien und klein gespaltnen Fichten Hoch an den Wänden aufzuschichten,
Dieß und viel andres giebt dem Prinzen viel zu thun: Allein es hilft ihm Nachts auch desto besser ruhn.

42
Zwar Anfangs will es ihm nicht gleich nach Wunsch gelingen, Die Holzaxt statt des Ritterschwerts zu schwingen; Die ungewohnte Hand greift alles schwerer an, Und in der halben Zeit hätt’ es ein Knecht gethan. Doch täglich nimmt er zu, denn Übung macht den Meister; Und fühlt er dann und wann sich dem Erliegen nah, So wehet der Gedank’, es ist für Rezia,
Sein Feuer wieder an, und stärkt die matten Geister.

43
Indessen Hüon sich im Wald ermüdet, pflegt Der edle Greis, der mit noch festem Tritte Die schwere Last von achtzig Jahren trägt, Der Ruhe nicht; nur daß er von der Hütte Sich selten weit entfernt. Kein heitrer Tag entflieht, Der nicht in seinem lieben Garten
Ihn dieß und das zu thun beschäftigt sieht. Amandens Sorge ist des kleinen Herds zu warten.

44
Da sähe man (wiewohl, wenn Engel nicht Mit stillem Blick ihr Ebenbild umweben,
Wer sieht sie hier?) mit heiterm Angesicht, Auf dem die Sorgen nur wie leichte Wölkchen schweben, Die Königstochter gern sich jeder niedern Pflicht Der kleinen Wirthschaft untergeben:
Auch was sie nie gekannt, viel minder je gethan, Wie schnell ergreift sie es, wie steht ihr alles an!

45
Oft schürzt sie, ohne mindsten Harm Daß ihre zarte Haut den schönen Schmelz verliere, Beym Wassertrog, vor ihrer Hüttenthüre,
Den schlanken schwanenweißen Arm.
Die Freud’ (ihr süßer Lohn) den väterlichen Alten Und den geliebten Mann in einem Stand zu halten, Der von dem Drückendsten der Armuth sie befreyt, Veredelt, würdigt ihr des Tagwerks Niedrigkeit.

46
Und sieht sie dann (auch Er ist jener Engel einer) Der heil’ge Greis, der von der Arbeit kehrt, Und segnet sie: o dann ist ihre Freude reiner Und inniger, als würd’ ihr dreymahl mehr verehrt Als sie zu Bagdad ließ. Wenn dann bey Sternenlichte Die Nacht sie alle drey am Feuerherd vereint, Und auf Amandens lieblichem Gesichte,
Das halb im Schatten steht, die Flamme wiederscheint:

47
Dann ruht, mit stillem liebevollen
Entzückten Blick, der junge Mann auf ihr, Und seine Seele schwillt, und süße Thränen rollen Die dunkle Wang’ herab. Tief schweiget die Begier! Sie ist ein überirdisch Wesen
Das ihm zum Trost erscheint–er ist beglückt genug Daß er sie lieben darf, und o! in jedem Zug, In jedem keuschen Blick, daß er geliebt ist, lesen!

48
Oft sitzen sie, der fromme freundliche Greis In ihrer Mitt’, Amanda seine rechte
In ihrer linken Hand, und hören halbe Nächte Ihm zu, von seiner langen Lebensreis’
Ein Stück, das ihm lebendig wird, erzählen. Vom Antheil, den die warmen jungen Seelen An allem nehmen, wird’s ihm selber warm dabey, Dann werden unvermerkt aus zwey Geschichten drey.

49
Zuweilen, um den Geist des Trübsinns zu beschwören, Der, wenn die Flur in dumpfer Stille trau’rt, Im Schneegewölk mit Eulenflügeln lau’rt, Läßt Hüon seine Kunst auf einer Harfe hören, Die er von ungefähr in einem Winkel fand, Lang’ ungebraucht, verstimmt, und kaum noch halb bespannt: Doch scheint das schnarrende Holz von Orfeus Geist beseelet, So bald sich Rezia’s Gesang mit ihm vermählet.

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Oft lockte sie ein heller Wintertag, Wenn fern die See von strenger Kälte rauchte, Der blendend weiße Schnee dicht auf den Bergen lag, Und itzt die Abendsonn’ ihn wie in Purpur tauchte, Dann lockte sie der wunderschöne Glanz
Im reinen Strom der kalten Luft zu baden. Wie mächtig fühlten sie sich dann gestärkt! wie ganz Durchheitert, neu belebt, und alles Grams entladen!

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Unmerklich schlüpfte so die Winterzeit vorbey. Und nun erwacht aus ihrem langen Schlummer Die Erde, kleidet sich aufs neu
In helles Grün; der Wald, nicht mehr ein stummer Verödeter Ruin, wo nur die Pfeiler stehn Der prächt’gen Laubgewölb’ und hohen Schattengänge Des Tempels der Natur, steht wieder voll und schön, Und Laub drückt sich an Laub in lieblichem Gedränge.

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Mit Blumen decket sich der Busen der Natur, Aufblühend lacht der Garten und die Flur; Man hört die Luft von Vogelsang erschallen; Die Felsen stehn bekränzt; die fließenden Krystallen Der Quellen rieseln wieder rein
Am frischen Moos herab; den immer dichtern Hain Durchschmettert schon, im lauen Mondenschein, Die stille Nacht hindurch, das Lied der Nachtigallen.

53
Amanda, deren Ziel nun immer näher rückt, Sucht gern die Einsamkeit, sucht stille dunkle Steige Im Hain sich aus, und dicht gewölbte Zweige. Da lehnt sie oft, von Ahnungen gedrückt, An einem blüh’nden Baum, und freuet sich des Webens Und Sumsens und Gedrängs und allgemeinen Lebens In seinem Schooß–und drückt mit vorempfundner Lust Ein lieblich Kind im Geist an ihre Brust;
54
Ein lieblich Kind, das ihre Mutterliebe Mit jedem süßen Reitz verschwenderisch begabt, Sich schon voraus an jedem zarten Triebe, Der ihm entkeimt, sich schon am ersten Lächeln labt, Womit es ihr die Leiden alle danket
Die sie so gern um seinetwillen trug, Sich labt an jedem schönen Zug
Worin des Vaters Bild sanft zwischen ihrem schwanket.

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Allmählich wird der wonnigliche Traum Von schüchternen Beängstigungen
Und stillem Gram, den sie vor Hüon kaum Verbergen kann und doch verbirgt, verdrungen. Ach Fatme, denkt sie oft, und Thränen stehen ihr Im Auge, wärest du in dieser Noth bey mir! Getrost, o Rezia! Das Schicksal, das dich leitet, Hat dir zu helfen längst die Wege vorbereitet!

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Titania, die Elfenkönigin,
Sie hatte seit dem Tag, da Trotz und Widersinn So unvermuthet sie um Oberons Herz betrogen, Sich in dieß nehmliche Gebirg zurückgezogen. Mit dem Gemahl, der ihr durch einen Schwur entsagt, Den unterm unbegrenzten Bogen
Des himmlischen Azurs kein Geist zu brechen wagt, Mit seiner Lieb’ und ihm war all’ ihr Glück entflogen.

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Zu spät beweint sie nun die eitle, rasche That Des Augenblicks; fühlt mit beschämten Wangen Die Größe ihrer Schuld, den schweren Hochverrath Den sie an ihm und an sich selbst begangen. Vergebens kämpft ihr Stolz der stärkern Zärtlichkeit Entgegen!–Ach! sie flöge himmelweit,
Und würfe gern, um ihr Vergehn zu büßen, In Thränen sich zu des Erzürnten Füßen.

58
Was hälf’ es ihr? Er schwor, in Wasser noch in Luft, Noch wo im Blüthenhain die Zweige Balsam regnen, Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft Bey Zauberschätzen wacht, ihr jemahls zu begegnen! Vergebens käm’ ihn selbst die späte Reue an; Auf ewig fesselt ihn der Schwur den er gethan. Ihn auszusöhnen bleibt ihr keine Pforte offen! Denn von der einz’gen, ach! was ist von der zu hoffen?

59
Sie ist auf ewig zu. Denn nur ein liebend Paar, Wie keines ist, wie niemahls eines war
Noch seyn wird, schließt sie auf. Von schwachen Adamskindern Zu hoffen eine Treu’, die keines Sturmwinds Stoß Erschüttert, eine Treu’, die keine Probe mindern, Kein Reitz betäuben kann? Unmöglich! Hoffnungslos Sinkt in der fernsten Zukunft dunkeln Schooß Ihr thränenschwerer Blick; nichts kann ihr Elend mindern!

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Verhaßt ist ihr nunmehr der Elfen Scherz, der Tanz Im Mondenlicht, verhaßt in seinem Rosenkleide Der schöne May. Ihr schmückt kein Myrtenkranz Die Stirne mehr. Der Anblick jeder Freude Reißt ihre Wunden auf. Sie flattert durch das Leer Der weiten Luft im Sturmwind hin und her, Find’t nirgends Ruh, und sucht mit trübem Blicke Nach einem Ort, der sich zu ihrer Schwermuth schicke.

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Zuletzt entdeckt sich ihr im großen Ocean Dieß Eiland. Aufgethürmt aus schwarzen ungeheuern Ruinen, lockt es sie durch seine Schwärze an Den irren Flug dahin zu steuern.
Es stimmt zu ihrem Sinn. Sie taumelt aus der Luft Herab, und stürzet sich in eine finstre Gruft, Um ungestört ihr Daseyn wegzuweinen,
Und, unter Felsen, selbst, wo möglich, zu versteinern.

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Schon siebenmahl, seitdem Titania
Dieß traurige Leben führt, verjüngte sich die Erde Ihr unbemerkt. Als wie auf einem Opferherde Liegt sie auf einem Stein, den Tod erwartend, da; Der Tag geht auf und sinkt, die holde Schattensonne Beleuchtet zauberisch die Felsen um sie her; Vergebens! strömten auch die Quellen aller Wonne Auf einmahl über sie, ihr Herz blieb wonneleer.

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Das einz’ge, was ihr noch, mit einem Traum des Schattens Von Trost, ihr ewig Leid versüßt,
Ist, daß vielleicht der Zustand ihres Gattens Dem ihren gleicht, und Er vielleicht noch härter büßt. Gewiß, noch liebt er sie! und o! wofern er liebet, Er, durch sich selbst verdammt zum Schöpfer ihrer Pein Und seiner eignen Qual, wie elend muß er seyn! So elend, daß sie gern ihm ihren Theil vergiebet!

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Doch, da für jede Seelenwunde,
Wie tief sie brennt, die Zeit, die große Trösterin, Den wahren Balsam hat: so kam zuletzt die Stunde Auch bey Titania, da ihr verdumpfter Sinn Sich allgemach entwölkt, ihr Herz geduld’ger leidet, Und ihre Fantasie in Grün sich wieder kleidet; Sie giebt den Schmeicheley’n der Hoffnung wieder Raum, Und was unmöglich schien wird itzt ihr Morgentraum.

65
Auf einmahl grauet ihr vor diesen düstern Schlünden, Worin sie einst sich gern gefangen sah;
Schnell muß aus ihrem Aug’ ein Theil der Klippen schwinden, Und ein Elysium steht blühend vor ihr da. Auf ihren leisen Ruf erschienen
Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen; Ein schwesterliches Drey, das ihren Gram zerstreut, Und der Verlaßnen, mehr aus Lieb’ als Pflicht, sich weiht.

66
Das Paradies, das sich die Elfenkönigin In diese Felsen schuf, war eben das, worin Alfonso schon seit dreyßig Jahren wohnte; Und, ihm unwissend, war’s die Grotte, wo sie thronte, Woraus ihm, durchs Gebüsch vom Nachtwind zugeführt, Der liebliche Gesang, gleich Engelsstimmen, hallte; Sie war’s, die ungesehn bey ihm vorüber wallte, Wenn er an seiner Wang’ ein geistig Weh’n verspürt.

67
Auch unsre Liebenden, vom Tag an, da die Wogen An dieses Eiland sie getragen, hatte sie Bemerkt, und täglich spät und früh
Erkundigung von ihnen eingezogen.
Oft stand sie selbst, wenn jene sich allein Vermeinten, ungesehn, sich näher zu belehren; Und was sie hört’ und sah gab ihr den Zweifel ein, Ob sie vielleicht das Paar, das sie erwartet, wären.

68
Je länger sie auf ihr Betragen merkt, Je mehr sie sich in ihrer Hoffnung stärkt. Sind Hüon und Amanda die getreuen
Probfesten Seelen nicht, die Oberon begehrt, So mag sie ihrer nur auf ewig sich verzeihen! Von nun an sind sie ihr wie ihre Augen werth, Und sie beschließt, mit ihren kleinen Feen Dem edlen jungen Weib unsichtbar beyzustehen.

69
Die Stunde kam. Von dumpfer Bangigkeit Umher getrieben, irrt Amanda im Gebüsche, Das um die Hütten her ein liebliches Gemische Von Wohlgeruch zum Morgenopfer streut.
Sie irret fort, so wie der schmale Pfad sich windet, Bis sie sich unvermerkt vor einer Grotte findet, Die ein Geweb von Efeu leicht umkränzt,
Auf dessen dunkelm Schmelz die Morgensonne glänzt.

70
Alfonso hatte oft vordem hinein zu gehen Versucht, und allemahl vergebens; eben dieß War seinem alten Freund, war Hüon selbst geschehen, So oft er, um des Wunders sich gewiß
Zu machen, es versucht. Sie hatten nichts gesehen: Sie fühlten nur ein seltsam Widerstehen, Als schöbe sich ein unsichtbares Thor,
Indem sie mit Gewalt eindringen wollten, vor.

71
Schnell überfiel sie dann ein wunderbares Grauen; Sie schlichen leise sich davon,
Und keiner wollte sich der Probe mehr getrauen. Man weiß nicht, ob Amanda selbst es schon Zuvor versucht; genug, sie konnte dem Gedanken, Die erste, der’s geglückt, zu seyn,
Nicht widerstehn; sie schob die Efeuranken Mit leichter Hand hinweg, und–ging hinein.

72
Kaum sah sie sich darin, so kam ein heimlich Zittern Sie an; sie sank auf einen weichen Sitz
Von Rosen und von Moos. Itzt fühlt sie, Blitz auf Blitz, Ein schneidend Weh Gebein und Mark erschüttern. Es ging vorbey. Ein angenehm Ermatten
Erfolgte drauf. Es ward wie Mondesschein Vor ihrem Blick, der stets in tiefre Schatten Sich taucht’, und, sanft sich selbst verlierend, schlief sie ein.

73
Itzt dämmern liebliche verworrene Gestalten In ihrem Innern auf, die bald vorüber fliehn, Bald wunderbar sich in einander falten.
Ihr däucht, sie seh’ drey Engel vor ihr knien, Und ihr verborgene Mysterien verwalten,
Und eine Frau, gehüllt in rosenfarbnem Licht, Steh’ neben ihr, so oft der Athem ihr gebricht Ein Büschel Rosen ihr zum Munde hin zu halten.

74
Zum letzten Mahl beklemmt ihr höher schlagend Herz Ein kurzer sanft gedämpfter Schmerz;
Die Bilder schwinden weg, und sie verliert sich wieder. Doch bald, erweckt vom Nachklang süßer Lieder Der halb verweht aus ihrem Ohr entflieht, Schlägt sie in ihrem Traum die Augen auf, und sieht Die Drey nicht mehr, sieht nur die Königin der Feen In Rosenglanz sanft lächelnd vor ihr stehen.

75
Auf ihren Armen liegt ein neu geboren Kind. Sie reicht’s Amanden und verschwebet
Vor ihren Augen, wie im Morgenwind
Ein Wölkchen schmilzt aus Blumenduft gewebet. Im gleichen Nu entwacht Amanda ihrem Traum, Und streckt die Arme aus, als wollte sie den Saum Des rosigen Gewandes noch erfassen;
Umsonst! sie greift nach Luft, sie ist allein gelassen.

76
Doch, einen Pulsschlag noch, und wie unnennbar groß Ist ihr Erstaunen, ihr Entzücken!
Kaum glaubt sie dem Gefühl, kaum traut sie ihren Blicken! Sie fühlt sich ihrer Bürde los,
Und zappelnd liegt auf ihrem sanften Schooß Der schönste Knabe, frisch wie eine Morgenros’ Und wie die Liebe schön! Mit wonnevollem Beben Fühlt sie ihr Herz sich ihm entgegen heben.

77
Sie fühlt’s, es ist ihr Sohn!–Mit Thränen inniger Lust Gebadet, drückt sie ihn an Wange, Mund, und Brust, Und kann nicht satt sich an dem Knaben sehen. Auch scheint der Knabe schon die Mutter zu verstehen. Laßt ihr zum mindsten den Genuß
Des süßen Wahns! Er schaut aus seinen hellen Augen Sie ja so sprechend an–und scheint nicht jeden Kuß Sein kleiner Mund dem ihren zu entsaugen?

78
Sie hört den stillen Ruf–wie leise hört Ein Mutterherz!–und folgt ihm unbelehrt. Mit einer Lust, die, wenn sie neiden könnten, Die Engel, die auf sie herunter sahn,
Die Engel selbst beneidenswürdig nennten, Legt sie an ihre Brust den holden Säugling an. Sie leitet den Instinkt, und läßt nun an den Freuden Des zartsten Mitgefühls ihr Herz vollauf sich weiden.

79
Indessen hat im ganzen Hain umher
Ihr Hüon sie gesucht, zwey ängstlich lange Stunden, Und, da er nirgends sie gefunden,
Führt ihn zuletzt sein irrer Fuß hierher. Er nähert sich der unzugangbar’n Grotte; Nichts hält ihn auf, er kommt–o welch ein Augenblick! Und sieht das holde Weib, mit einem Liebesgotte An ihrer Brust, vertieft, verschlungen in ihr Glück.

80
Ihr, denen die Natur, beym Eingang in dieß Leben, Den überschwenglichen Ersatz
Für alles andre Glück, den unverlierbar’n Schatz, Den alles Gold der Aureng-Zeben
Nicht kaufen kann, das beste in der Welt Was sie zu geben hat, und was ins beßre Leben Euch folgt, ein fühlend Herz und reinen Sinn gegeben, Blickt hin und schaut–Der heil’ge Vorhang fällt!

Neunter Gesang.

1
Es ist nun Zeit, uns auch nach Fatmen umzuschauen, Die wir, seit Rezia mit Hüon sich ins Meer Gestürzt, im Schiff, allein und alles Trostes leer Gelassen, Tag und Nacht das Schicksal ihrer Frauen Beweinend, und ihr eignes freylich auch. Denn ach! sie weint, sie schreyt, sie rauft ihr Haar vergebens; Er ist verweht, mit einem einzigen Hauch Verweht, der ganze Bau der Ruhe ihres Lebens.

2
Was soll nun aus ihr werden, so allein In einem Schiff, von zügellosen Söhnen
Des rauhen Meers umringt, die ihren Jammer höhnen, Mit frechen Augen schon, berauscht in feurigem Wein, Verschlingen ihren Raub–was wird ihr Schicksal seyn? Zum Glück erbarmet sich der schutzberaubten Schönen Ein unverhoffter Sturm, der in der zweyten Nacht Die See zum Tummelplatz empörter Wogen macht.

3
Die Pinke treibt, indeß ein allgemeines Zagen Das Volk entnervt, auf ungewissem Meer
Herum gejagt, bald west–bald südwärts hin und her; Bis, da der Winde Wuth in sieben schrecklichen Tagen Erschöpft ist, an den Strand von Tunis sich verschlagen Der Hauptmann sieht. Den Zufall, der ihn sehr Zur Unzeit überrascht, in Vortheil zu verwandeln, Beschließt er Fatmen hier als Sklavin zu verhandeln.

4
Denn Fatme, die kaum vier und dreyßigmahl Den May sein Blumenkleid entfalten
Gesehn, war eine aus der Zahl
Der lange blühenden Gestalten,
Die nicht so leicht verwittern noch veralten, Und die mit Reitzen von Gewicht,
Viel Feu’r im Blick, viel Grübchen im Gesicht, Euch für den Rosenglanz der Jugend schadlos halten.

5
Des Königs Gärtner kam durch Zufall auf den Platz, Wo alles das um hundert Sultaninen
Zu kaufen war. Es schien Bemerkung zu verdienen. Er trat hinzu, besah’s und fand es sey ein Schatz. Sein grauer Kopf ward nicht zu Rath gezogen. Es fehlte, dünkt ihn, nichts in seinem Gulistan Als eben dieß. Das Gold wird hurtig vorgewogen, Und Fatme duldet still was sie nicht ändern kann.

6
Indeß verfolgt mit stets gewognem Winde Der treue Scherasmin den anbefohlnen Lauf. Kaum nahm Massiliens Port ihn wohlbehalten auf, So setzt er sich zu Pferd, und eilt so schnell, als stünde Sein Leben drauf, zum Kaiser nach Paris. Er hatte schon den Märt’rerberg erstiegen Und sah im Morgenroth die Stadt noch schlummernd liegen, Als plötzlich sich sein Kopf an einen Zweifel stieß.

7
“Halt, sprach sein Geist zu ihm, und eh’ wir weiter traben, Bedenke wohl was du beginnst, mein Sohn! Zwar sollte das dein weiser Schädel schon Zu Askalon erwogen haben,
Obgleich der Wind, der dort in Hüons Segel blies, Dir wenig Zeit zum Überlegen ließ.
Doch, wenn wir ehrlich mit einander sprechen wollen, Du hättest damahls dich ganz anders sträuben sollen.

8
“Denn, unter uns gesagt, es ist doch offenbar Kein Menschensinn in dieser Ambassade.
Den Kaiser, der vorhin uns nie gewogen war, Erbittert sie gewiß im höchsten Grade.
Am Ende wär’ es nur ums reiche Kästchen Schade! Denn, wahrlich, mit der Hand voll Ziegenhaar, Und mit den Zähnen da, Gott weiß aus welchem Rachen, Wird deine Excellenz sehr wenig Eindruck machen.

9
“Ja, wenn Herr Hüon selbst, mit stattlichem Geleite Von Reisigen, Trabanten und so fort,
Und mit der Tochter des Kalifen an der Seite Herein geschritten wär’, und hätte selbst das Wort Geführt, und mit gehörigen Grimassen,
Wie einem Ritter, Duc und Pair
Geziemt, auf rothem Sammt, von goldnen Quasten schwer, Die Sachen überreicht–da wollt’ ich’s gelten lassen!

10
“Da kommt des Aufzugs Pracht, die Fei’rlichkeit, der Glanz Der Sultanstochter, an der Hand des stolzen Gatten, Kurz, jeder Umstand kommt dem andern da zu Statten, Und trägt das Seine bey, die Sache rund und ganz Zu machen. Karlen bleibt nichts weiter einzuwenden, Er hat den Glauben in den Augen und in Händen; Der Ritter hat sein Wort gehalten als ein Mann, Und fordert frey was ihm kein Recht versagen kann.

11
“Das alles geht auf einmahl in die Brüche, Freund Scherasmin, wenn du nicht klüger bist Als der dich abgeschickt. Wohlan, was Raths? was ist Zu thun?–Das beste wär’, auf allen Fall, er schliche Mit seinem Kästchen sich ganz sachte wieder ab Eh’ jemand ihn bemerkt, und ritt’ im großen Trab Geraden Wegs nach Rom, dem Freyport aller Frommen, Wo hoffentlich sein Herr inzwischen angekommen.”

12
So sprach zu Scherasmin sein beßrer Genius: Und da er ihm nach langem Überlegen
Nichts klügers, wie ihn dünkt, entgegen Zu setzen hatte, war sein endlicher Entschluß, Der guten Stadt Paris das Schulterblatt zu weisen, Und sporenstreichs nach Rom zu seinem Herrn zu reisen. Er übersteigt die Alpen, langet an,
Und gleich sein erster Gang ist–nach dem Lateran.

13
Allein, umsonst ermüdet er mit Fragen Nach seinem Herrn den Schweizer, der die Wach’ Am Thore hat, umsonst das ganze Vorgemach, Kein Mensch kann ihm ein Wort von Ritter Hüon sagen. Vergebens rennet er die Stadt von Haus zu Haus Und alle Kirchen und Spitäler fragend aus, Und schildert ihn vom Fersen bis zur Scheitel Den Leuten vor,–all’ seine Müh ist eitel.

14
Vier ewige Wochen lang, und dann noch zwey dazu, Verweilt er sich in stets betrognem Hoffen, Läßt keinen Tag sich selbst noch andern Ruh Mit Forschen, ob sein Prinz denn noch nicht eingetroffen; Und, da kein Warten hilft, beginnt er überlaut Den großen Schwur des Baskenvolks zu fluchen, Und schwört, so weit der Himmel blaut,
In einem Pilgerkleid den Ritter aufzusuchen.

15
Was konnt’ er anders thun? Sein Geld war aufgezehrt, Und eine Perle nur vom Kästchen anzugreifen, (Das billig hundertfachen Werth
In Hüons Augen hat, weil’s Oberon ihm verehrt) Eh ließ er sich den Balg vom Leibe streifen! Von einem Pilgersmann wird weder Gold begehrt Noch Silbergeld; er kann mit Muschelschalen Und Litaney’n die halbe Welt bezahlen.

16
So bettelt nun zwey Jahre lang und mehr Der treue unverdroßne Alte
Sich durch die Welt, die Länge und die Quer’, Und macht an jedem Port, auf jeder Insel Halte, Fragt überall vergebens seinem Herrn
Und seiner Dame nach–bis ihn zuletzt sein Stern, Und ein geheimer Trieb, der seine Hoffnung schüret, Nach Tunis vor die Thür des alten Gärtners führet.

17
Er setzt sich dort auf eine Bank von Stein, Um, müd’ und schwach von langem Fasten,
Im Schatten da ein wenig auszurasten, Und eine Sklavin bringt ihm etwas Brot und Wein. Sie sieht dem Mann im braunen Pilgerkleide Erstaunt ins Aug’, und er der Sklavin ebenfalls, Und, sich mit einem Schrey des Schreckens und der Freude Erkennend, fallen sie einander um den Hals.

18
Bist du es, Fatme? ruft an ihrer nassen Wange Der Pilger freudig aus; ist’s möglich?–Ach! schon lange Ließ Scherasmin die Hoffnung sich vergehn! Ist’s möglich daß wir uns zu Tunis wieder sehn? Was für ein Wind hat euch in diese Heidenlande Verweht? Und wo ist Hüon und Amande?
Ach, Scherasmin, schreyt Fatme laut, und bricht In Thränen aus–Sie sind–Ich Arme!–Frage nicht!

19
Was sagst du? ruft der Alte–Gott verhüte! Was sind sie? Sprich!–“Ach, Scherasmin, sie sind -!” Mehr bringt sie nicht heraus! Das stockende Geblüte Erstickt die Red’ in ihrer Brust–Sie sind?– O Gott! schluchzt Scherasmin, und weinet wie ein Kind An Fatmens Hals–In ihrer vollen Blüthe! Das ist zu hart! Allein mir schwante lang’ vorher Nichts gutes! Fatme–ach, die Probe war zu schwer!

20
So bald die gute Frau zum kläglichen Berichte Nur wieder Athem hat, erzählt sie Stück für Stück, Von seiner Abreis’ an bis auf den Augenblick Der Schreckensnacht–da, beym auffackelnden Lichte Der Blitze, Rezia durch alles Volk, das dichte Auf Hüon drängt, sich stürzt, den Arm in Liebeswuth Um den Geliebten schlingt und in die wilde Flut Ihn mit sich reißt,–die traurige Geschichte.

21
Drauf sitzen sie wohl eine Stunde lang Beysammen, sich recht satt zu klagen und zu weinen, Und beide sich, aus treuem Liebesdrang,
Zum Preis des schönsten Paares zu vereinen, Das je die Welt geziert. Nein, ruft sie vielmahls, nie, Nie werd’ ich eine Frau, wie diese, wieder sehen! Noch ich, ruft Scherasmin in gleicher Melodie, Je einem Fürstensohn wie Er zur Seite stehen!
22
Zuletzt, nachdem er sich wohl dreymahl sagen lassen Wie alles sich begab, geht ihm ein schwacher Schein Von Glauben auf, und läßt ihn Hoffnung fassen, Sie könnten beide doch vielleicht gerettet seyn. Je mehr er es bedenkt, je minder geht ihm ein, Daß Oberon auf ewig sie verlassen.
In allem dem, was er für sie gethan, War Absicht, wie ihn däucht, und ein geheimer Plan.

23
Bey diesem schwachen Hoffnungsschimmer, Der wie ein fernes Licht in tiefer Nacht ihm scheint, Entschließt er sich, von Fatmen nun sich nimmer Zu trennen, und, mit ihr durch gleichen Schmerz vereint, Des Schicksals Aufschluß hier in Tunis abzuwarten. Durch ihren Vorschub tauscht er Pilgerstab und Kleid Mit einem Sklavenwamms und einem Grabescheid, Und dient um Tagelohn im königlichen Garten.

24
Indessen Fatme und der wackre Scherasmin Die Blumenfelder, die sie bauen,
Wie ihrer Lieben Grab, mit Thränen oft bethauen; Sieht Hüon, seit sein prüfend Schicksal ihn In jene Einsied’ley voll Anmuth und voll Grauen Verbannt, nicht ohne Gram den dritten Frühling blühn. Unmöglich kann er noch sein Heldenherz entwöhnen, Ins Weltgetümmel sich mit Macht zurück zu sehnen.

25
Der kleine Hüonnet, das schönste Mittelding Von mütterlichem Reitz und väterlicher Stärke, Das je am Hals von einer Göttin hing,
Und wahrlich doch zu anderm Tagewerke Bestimmt, als mit der Axt auf seiner Schulter einst Ins Holz zu gehn, vermehrt nur seinen Kummer. Auch dich, o Rezia, in Nächten ohne Schlummer, Belauscht dein Engel oft, wenn du im Stillen weinst.

26
Tief fühlt ihr beid’ in dieser Jugendblüthe, Daß Abgeschiedenheit euch unnatürlich ist, Fühlt Kraft zu edlerm Thun in eurer Brust, vermißt Des Heldensinns, der unbegrenzten Güte
Gleich unbegrenzten Kreis!–Umsonst bemühn sie sich Die Thräne, die dem abgewandten Aug’ entschlich, Dem alten Vater zu verhehlen;
Ihr Lächeln täuscht ihn nicht, er liest in ihren Seelen.

27
Und ob ihm diese Welt gleich nichts mehr ist, doch stellt Er sich an Ihren Platz, in das was sie verloren, Was ihnen zugehört, wozu sie sich geboren Empfinden–fühlt aus Ihrer Brust, und hält Die Thräne für gerecht, die sie vor ihm aus Liebe Verbergen, tadelt nicht die unfreiwilligen Triebe, Und frischt sie nur, so lang’ als ihren Lauf Das Schicksal hemmt, zu stillem Hoffen auf.

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An einem Abend einst–das Tagwerk war vollbracht, Und alle drey, (Amande mit dem Knaben
Auf ihrem Schooß) um an der herrlichen Pracht Des hellgestirnten Himmels sich zu laben, Sie saßen vor der Hütt’ auf einer Rasenbank, Versenkten sich mit ahnungsvollem Grauen In dieses Wundermeer, und blickten stillen Dank Zu ihm, der sie erschuf–gen Himmel aufzuschauen:

29
Da fing der fromme Greis, mit mehr gerührtem Ton Als sonst, zu reden an von diesem Erdenleben Als einem Traum, und vom Hinüberschweben Ins wahre Seyn.–Es war, als wehe schon
Ein Hauch von Himmelsluft zu ihm herüber, Und trag’ ihn sanft empor indem er sprach. Amanda fühlt’s; die Augen gehn ihr über, Ihr ist’s, als sähe sie dem Halbverschwundnen nach.

30
Mir, fuhr er fort, mir reichen sie die Hände Vom Ufer jenseits schon–Mein Lauf ist bald zu Ende; Der eurige beginnet kaum, und viel,
Viel Trübsal noch, auch viel der besten Freuden, (Oft sind’s nur Stärkungen auf neue größre Leiden) Erwarten euch, indeß ihr unvermerkt dem Ziel Euch nähert. Beides geht vorüber,
Und wird zum Traum, und nichts begleitet uns hinüber;

31
Nichts als der gute Schatz, den ihr in euer Herz Gesammelt, Wahrheit, Lieb’ und innerlicher Frieden, Und die Erinnerung, daß weder Lust noch Schmerz Euch je vom treuen Hang an eure Pflicht geschieden. So sprach er vieles noch; und als sie endlich sich Zur Ruh begaben, drückt’ er, wie sie dünkte, Sie wärmer an sein Herz, und eine Thräne blinkte In seinem Aug’, indem er schnell von ihnen wich.

32
In eben dieser Nacht, von dunkeln Vorgefühlen Der Zukunft aufgeschreckt, erhob Titania Die Augen himmelwärts–und alle Rosen fielen Von ihren Wangen ab, indem sie stand, und sah Und las. Sie rief den lieblichen Gespielen, Mit ihr zu sehen, was in diesem Nu geschah, Und wie zu unglückschwangern Zügen
Amandens Sterne schon sich an einander fügen.

33
Und, dicht in Schatten eingeschleiert, fliegt Sie schnell dem Lager zu, wo zwischen Mandelbäumen (Der Knabe neben ihr) die Königstochter liegt, Aus ihrem Schlaf von ahnungsvollen Träumen Oft aufgestört. Titania berührt
Die Brust der Schläferin (damit die Unruh schweige Die in ihr klopft) mit ihrem Rosenzweige, Und raubt den Knaben weg, der nichts davon verspürt.

34
Sie kommt zurück mit ihrem schönen Raube, Und spricht zu ihren Grazien: Ihr seht
Das grausame Gestirn, das ob Amanden steht! Eilt, rettet dieses Kind in meine schönste Laube, Und pfleget sein, als wär’s mein eigner Sohn. Drauf zog sie aus dem Kranz um ihre Stirne Drey Rosenknospen aus, gab jeder holden Dirne Ein Knöspchen hin, und sprach: Hinweg, es dämmert schon!

35
Thut wie ich euch gesagt, und alle Tag’ und Stunden Schaut eure Rosen an; und wenn ihr alle drey Zu Lilien werden seht, so merket dran, ich sey Mit Oberon versöhnt und wieder neu verbunden. Dann eilet mit Amandens Sohn herbey,
Denn mit der meinen ist auch ihre Noth verschwunden. Die Nymfen neigten sich und flohn
In einem Wölkchen schnell hinweg mit Hüons Sohn.

36
Kaum war der Morgen aufgegangen,
So sucht mit bebendem unruhigem Verlangen Amanda ihren Freund, der seine Lagerstatt, Fern von Alfons und ihr, in einem Felsen hat. So hastig eilt sie fort, daß sie (was nie geschehen Seitdem sie Mutter war) vor lauter Eil’ vergißt, Nach ihrem Sohn, der noch ihr Schlafgeselle ist, Und ruhig (glaubt sie) schläft, vorher sich umzusehen.

37
Sie findet ihren Mann, im Garten irrend, auf, Und beide nehmen auf der Stelle,
Was sie besorgen sich verbergend, nach der Zelle Des alten Vaters ihren Lauf.
Wie klopft ihr Herz, indem sie seinem Lager Sich langsam nahn! Er liegt, die Hände auf sein Herz Gefaltet, athemlos, sein Antlitz bleich und hager, Doch edel jeder Zug, und rein, und ohne Schmerz.

38
Er schlummert nur, spricht Rezia, und legt Die Hand, so leicht daß sie ihn kaum berühret, Auf seine Hand–und, da sie kalt sie spüret Und keine Ader mehr sich regt,
Sinkt sie in stiller Wehmuth auf den blassen Erstarrten Leichnam hin; ein Strom von Thränen bricht Aus ihrem Aug’ und badet sein Gesicht:
O Vater, ruft sie aus, so hast du uns verlassen!

39
Sie rafft sich auf, und sinkt an Hüons Brust, Und beide werfen nun sich bey der kalten Hülle Der reinsten Seele hin, in ehrfurchtsvoller Stille, Und sättigen die schmerzlich süße Lust
Zu weinen,–drücken oft, um endlich wegzugehen, Auf seine Hand der Liebe letzten Zoll,
Und bleiben immer, nie gefehlter Regung voll, Bey dem geliebten Bild, als wie bezaubert, stehen.

40
Es war als sähen sie auf seinem Angesicht Die Dämmerung von einem neuen Leben,
Und wie von reinem Himmelslicht
Den Widerschein um seine Stirne weben, Der schon zum geist’gen Leib den Erdenstoff verfeint, Und um den stillen Mund, der eben
Vom letzten Segen noch sich sanft zu schließen scheint, Ein unvergängliches kaum sichtbar’s Lächeln schweben.

41
Ist dir’s nicht auch (ruft Hüon, wie entzückt, Amanden zu, indem er aufwärts blickt)
Als fall’ aus jener Welt ein Strahl in deine Seele? So fühlt’ ich nie der menschlichen Natur Erhabenheit! noch nie dieß Erdenleben nur Als einen Weg durch eine dunkle Höhle
Ins Reich des Lichts! nie eine solche Stärke In meiner Brust zu jedem guten Werke!

42
Zu jedem Opfer, jedem Streit
Nie diese Kraft, nie diese Munterkeit Durch alle Prüfungen mich männlich durchzukämpfen! Laß seyn, Geliebte, daß der Trübsal viel Noch auf uns harrt–sie nähert uns dem Ziel! Nichts soll uns muthlos sehn, nichts diesen Glauben dämpfen! So spricht er, sich mit ihr von diesem heiligen Ort Entfernend–und ihn nimmt das Schicksal gleich beym Wort.
43
Denn, wie sie Hand in Hand nun wieder Hervor gehn aus der Zell’, und ihre Augenlieder Erheben–Gott! was für ein Anblick stellt Sich ihren Augen dar! In welche fremde Welt Sind sie versetzt! Verschwunden, ganz verschwunden Ist ihr Elysium, der Hain, die Blumenflur. Versteinert stehn sie da. Ist’s möglich? Keine Spur, Sogar die Stätte wird nicht mehr davon gefunden!

44
Sie stehn an eines Abgrunds Rand,
Umringt, wohin sie schaudernd sehen, Von überhangenden gebrochnen Felsenhöhen; Kein Gräschen mehr, wo einst ihr Garten stand! Vernichtet sind die lieblichen Gebüsche, Der dunkle Nachtigallenwald
Zerstört! Nichts übrig, als ein gräßliches Gemische Von schroffen Klippen, schwarz, und öd’, und ungestalt!

45
Zu welchen neuen Jammerscenen
Bereitet sie dieß grause Schauspiel vor? Ach, rufen sie, und heben, schwer von Thränen, Den kummervollen Blick zum heil’gen Greis empor: “Ihm wurde dieß Gebirg in Frühlingsschmuck gekleidet, Dieß Eden Ihm gepflanzt; um Seinetwillen nur Genossen wir’s; und Schicksal und Natur
Verfolgen uns aufs neu’, so bald er von uns scheidet!”

46
Ich bin gefaßt, ruft Rezia, und schlingt Ein Ach zurück das ihrer Brust entsteiget. Unglückliche! der Tag, der all dieß Unglück bringt, Hat dir noch nicht das schrecklichste gezeiget! Sie eilt dem Knaben zu, den sie vor kurzem, süß Noch schlummernd, (wie sie glaubt) verließ! Er ist ihr letzter Trost; des Schicksals härtsten Schlägen Geht sie getrost, mit ihm auf ihrem Arm, entgegen.

47
Sie fliegt dem Lager zu, wo er
An ihrer Seite lag, und, wie vom Blitz getroffen, Schwankt sie zurück–der Knab’ ist weg, das Lager leer. “Hat er sich aufgerafft? Fand er die Thüre offen Und suchte sie? O Gott! wenn er verunglückt wär’? Entsetzlich!–Doch vielleicht hat um die Hütte her, (So denkt sie zwischen Angst und Hoffen) Vielleicht im Garten nur der Kleine sich verloffen?”

48
Im Garten? ach! der ist nun felsiger Ruin! Sie stürzt hinaus, und ruft mit bebenden Lippen Den Knaben laut beym Nahmen, suchet ihn
Ringsum, mit Todesangst, in Höhlen und in Klippen. Der Vater, den ihr Schreyn herbey gerufen, spricht Umsonst den Trost ihr zu, woran’s ihm selbst gebracht: “Er werde sich gewiß in diesen Felsgewinden Gesund und frisch auf einmahl wieder finden.”

49
Zwey Stunden schon war alle ihre Müh Vergeblich. Ach! umsonst, laut rufend, irren sie Tief im Gebirg umher, besteigen alle Spitzen, Durchkriechen alle Felsenritzen,
Und lassen sich, um wenigstens sein Grab Zu finden, kummervoll in jede Kluft hinab: Ach! keine Spur von ihm entdeckt sich ihrem Blicke, Und von den Felsen hallt ihr eigner Ton zurücke.

50
Das Unbegreifliche des Zufalls, daß ein Kind Von seinem Alter sich verliere,
An einem Ort, wo weder wilde Thiere Noch Menschen (wilder oft als jene) furchtbar sind, Mehrt ihre Angst; doch nährt es auch ihr Hoffen: “Es kann nicht anders seyn, er hat sich nur verloffen, Und schlief vielleicht auf irgend einem Stein Vom Wandern müd’, in seiner Unschuld ein.”

51
Aufs neue wird der ganze Felsenrücken, Wird jeder Winkel, jeder Strauch
Der ihn vielleicht versteckt, durchsucht mit Falkenblicken. Die Unruh treibt sogar, wie unwahrscheinlich auch Die Hoffnung ist ihn dort lebendig aufzuspüren, Sie bis zum Strand herab, wo, unter dem Gemisch Von aufgethürmtem Sand und sumpfigem Gebüsch, Sie endlich unvermerkt einander selbst verlieren.

52
Auf einmahl schreckt Amandens Ohr
Ein ungewohnter Ton. Ihr däucht, es glich dem Schalle Von Stimmen. Doch, weil’s wieder sich verlor, Und sie bey einem Wasserfalle,
Der mit betäubendem Getöse übern Rand Von einem hohen Felsenbogen
Herunter stürzt, sich ziemlich nah befand, Glaubt sie, sie habe sich betrogen.

53
Ihr schwanet nichts von größerer Gefahr, Ihr einziger Gedank’ ist ihres Sohnes Leben: Und plötzlich, da sie kaum um einen Hügel, neben Dem Wasserfall, herum gekommen war,
Sieht sie, bestürzt, von einer rohen Schaar Schwarzgelber Männer sich umgeben,
Und hinter einem hohen Riff
Erblickt sie in der Bucht ein ankernd Ruderschiff.

54
Sie hatten kurz zuvor, um Wasser einzunehmen, Vor Anker hier gelegt, und waren noch damit Beschäftigt: als, mit schnell gehemmtem Schritt, Auf einmahl eine Frau vor ihre Augen tritt, Gemacht beym ersten Blick die schönsten zu beschämen. Erstaunen schien sie alle schier zu lähmen, An diesem öden Ort, den sonst der Schiffer fleucht, Ein junges Weib zu sehn, die einer Göttin gleicht.

55
Der Schönheit Anblick macht sonst rohe Seelen milder, Und Tieger schmiegen sich zu ihren Füßen hin: Doch diese fühlen nichts. Ihr stumpfer Räubersinn Berechnet sich den Werth der schönsten Frauenbilder (Von Marmor oder Fleisch, gleich viel!) mit kaltem Blut Bloß nach dem Marktpreis, just wie andres Kaufmannsgut. Hier, ruft der Hauptmann, sind zehn tausend Sultaninen Mit Einem Griff, so gut wie hundert, zu verdienen.

56
Auf, Kinder, greifet zu! So ein Gesicht wie dieß Gilt uns zu Tunis mehr als zwanzig reiche Ballen: Der König, wie ihr wißt, liebt solche Nachtigallen; Und dieser wilden hier gleicht von den Schönen allen In seinem Harem nichts. Ihr reicht Almansaris, Die Königin, so schön sie ist, gewiß
Das Wasser kaum. Wie wird der Sultan brennen! Der Zufall hätt’ uns traun! nicht besser führen können.

57
Indeß der Hauptmann dieß zu seinem Volke sprach, Steht Rezia, und denkt zwey Augenblicke nach Was hier zu wählen ist. “Sind diese Leute Feinde, So hilft die Flucht mir nichts, da sie so nahe sind: Vielleicht daß Edelmuth und Bitten sie gewinnt. Ich geh’ und rede sie als Freunde,
Als Retter an, die uns der Himmel zugesendet. Vielleicht ist’s unser Glück, daß sie hier angeländet.”

58
Dieß denkend, geht, mit unschuldsvoller Ruh Im offnen Blick, und mit getrosten Schritten, Das edle schöne Weib auf die Korsaren zu: Allein sie bleiben taub bey ihren sanften Bitten. Die Sprache, die zu allen Herzen spricht, Rührt ihre eisernen entmenschten Seelen nicht. Der Hauptmann winkt; sie wird umringt, ergriffen, Und alles läuft und rennt, die Beute einzuschiffen.

59
Auf ihr erbärmliches Geschrey,
Das durch die Felsen hallt, fliegt Hüon voller Schrecken Den Wald herab, zu ihrer Hülf’ herbey.
Ganz außer sich, so bald ihm was es sey Die Bäume länger nicht verstecken,
Ergreift er in der Noth den ersten knot’gen Stecken Der vor ihm liegt, und stürzt, wie aus der Wolken Schooß Ein Donnerkeil, auf die Barbaren los.

60
Sein holdes Weib zu sehn, die mit blutrünst’gen Armen Sich zwischen Räubertatzen sträubt,
Der Anblick, der zu Tiegerwuth ihn treibt, Macht bald den Eichenstock in seiner Faust erwarmen. Die Streiche fallen hageldicht
Auf Köpf’ und Schultern ein mit stürzendem Gewicht. Er scheint kein Sterblicher; sein Auge spritzet Funken, Und sieben Mohren sind schon vor ihm hingesunken.

61
Bestürzung, Scham und Grimm, von einem einz’gen Mann Den schönen Raub entrissen sich zu sehen, Spornt alle andern an, auf Hüon los zu gehen, Der sich, so lang’ er noch die Arme regen kann, Unbändig wehrt; bis, da ihm im Gedränge
Sein Stock entfällt, die überlegne Menge (Wiewohl er rasend schlägt und stößt und um sich beißt) Ihn endlich übermannt und ganz zu Boden reißt.

62
Mit einem Schrey gen Himmel sinkt Amande In Ohnmacht, da sie ihn erwürgt zu sehen glaubt. Man schleppt sie nach dem Schiff, indeß das Volk am Strande Auf den Gefallnen stürmt, und tobt und Rache schnaubt. Ihm einen schnellen Tod zu geben,
Wär’s auch der blutigste, däucht sie Gelindigkeit: Nein, ruft der Hauptmann aus, um desto längre Zeit Der Tode grausamsten zu sterben, soll er leben!

63
Sie schleppen ihn tief in den Wald hinein, So weit vom Strand, daß auch sein lautstes Schreyn Kein Ohr erreichen kann, und binden ihn mit Stricken Um Arm und Bein, um Hals und Rücken,
An einen Baum. Der Unglücksel’ge blickt Zum Himmel auf, verstummend und erdrückt Von seines Elends Last; und laut frohlockend fahren Mit ihrem schönen Raub nach Tunis die Barbaren.

Zehnter Gesang.

1
Schon sinkt der Tag, und trauernd wirft die Nacht (Ach! nicht vertraulich mehr in süßer Herzensfülle Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig ihre trübste Hülle
Ums öde Eiland her, wo aus der tiefen Stille Nun keinen Morgen mehr der Freude Lied erwacht; Nur ein Verlassener von allem was er liebet Der Pflichten schrecklichste durch stilles Dulden übet.

2
Ihn hört Titania, in ein Gewölk verhüllt, Tief aus dem Wald herauf in langen Pausen ächzen, Sieht den Unglücklichen in stummer Angst verlechzen, Und wendet sich von ihm. Denn, ach! vergebens schwillt Ihr zartes Herz von innigem Erbarmen.
Ein stärk’rer Zauber stößt mit unaufhaltbar’n Armen Sie weg von ihm; und wie sie überm Strand Dahin schwebt, blinkt vor ihr ein Goldreif aus dem Sand.

3
Amanda hatte ihn, im Ringen mit den Söhnen Des Raubes, unvermerkt vom Finger abgestreift. Die Elfenkönigin, indem sie ihn ergreift, Erkennt den Talisman, dem alle Geister fröhnen. Bald, ruft sie freudig, ist das Maß des Schicksals voll! Bald werden wieder dich die Sterne mir versöhnen, Geliebter! Dieser Ring verband uns einst; er soll Zum zweyten Mahl zu meinem Herrn dich krönen!

4
Inzwischen hatte man im Schiff, mit großer Müh, Amanden, die in Ohnmacht lag, ins Leben
Zurück gerufen. Kaum begonnte sie
Die schweren Augen trostlos zu erheben; So fiel vor ihr der Hauptmann auf die Knie, Und bat sie, sich dem Gram nicht länger zu ergeben: Dein Glück ist’s, sprach er, bloß, wovon ich Werkzeug bin; In wenig Tagen bist du unsre Königin.

5
Besorge nichts von uns, wir sind nur dich zu schützen Und dir zu dienen da: dich, Schönste, zu besitzen Ist nur Almansor werth, der dir an Reitzen gleicht. Er wird beym ersten Blick in deinen Fesseln liegen; Und, glaube meinem Wort, du wirst ihn mit Vergnügen Zu deinen Füßen sehn. Der Hauptmann spricht’s, und reicht (Um allen Argwohn, den sie hegen mag, zu stillen) Ein reiches Tuch ihr dar, sich ganz darein zu hüllen.

6
Der ist des Todes, (fährt er fort,
Mit einem Blick und Ton, der alles Volk am Bord Erzittern macht) der je des Frevels sich verwäget Und seine Hand an diesen Schleier leget! Betrachtet sie von diesem Augenblick
Als ein Juwel, das schon Almansorn angehöret. Er sagt’s, und zieht, damit sie ungestöret Der Ruhe pflegen kann, kniebeugend sich zurück.

7
Amanda, ohne auf des Räubers Wort zu hören, Bewegungslos, betäubt von ihrem Unglück, sitzt, Die Hände vor der Stirn, die Arme aufgestützt Auf ihre Knie’, mit starren, thränenleeren, Erloschnen Augen da. Ihr Jammer ist zu groß Ihn auszusprechen, ihn zu tragen
Ihr starkes Herz zu zart. Ach! diesen letzten Stoß Erträgt sie nicht! Sie sinkt, doch sinkt sie ohne Klagen.

8
Sie schaut nach Trost sich um, und findet keinen; leer Und hoffnungslos, und Nacht, wie ihre Seele, Ist alles, alles um sie her;
Die ganze Welt verkehrt in eine Mörderhöhle! Sie starrt zum Himmel auf–auch Der
Hat keinen Trost, hat keinen Engel mehr! Am Abgrund der Verzweiflung, wo sie schwebet, Steht noch der Tod allein, der sie im Sinken hebet.

9
Mitleidig reicht er ihr die abgezehrte Hand, Der letzte, treuste Freund der Leidenden! Sie steiget Hinab mit ihm ins stille Schattenland,
Wo aller Schmerz, wo aller Jammer schweiget; Wo keine Kette mehr die freye Seele reibt, Die Scenen dieser Welt wie Kinderträume schwinden, Und nichts aus ihr als unser Herz uns bleibt: Da wird sie alles, was sie liebte, wiederfinden!

10
Wie ein verblutend Lamm, still duldend, liegt sie da, Und seufzt dem letzten Augenblick entgegen: Als, in der stillen Nacht, sich ihr Titania Trost bringend naht. Ein unsichtbarer Regen Von Schlummerdüften stärkt der schönen Dulderin Matt schlagend Herz, und schläft den äußern Sinn Unmerklich ein. Da zeigt sich ihr im Traumgesichte Die Elfenkönigin in ihrem Rosenlichte.

11
Auf! spricht sie, fasse Muth! Dein Sohn und dein Gemahl Sie athmen noch, sind nicht für dich verloren. Erkenne mich! Wenn du zum dritten Mahl
Mich wieder siehst, dann ist, was Oberon geschworen, Erfüllt durch eure Treu’. Ihr endet unsre Pein, Und wie Wir glücklich sind, so werdet Ihr es seyn. Mit diesem Wort zerfließt die Göttin in die Lüfte, Doch wehen, wo sie stand, noch ihre Rosendüfte.

12
Amand’ erwacht, erkennt an ihrem Duft Und Rosenglanz, die nur allmählich schwanden, Die göttergleiche Frau, die in der Felsengruft, Gleich unverhofft, ihr ehmahls beigestanden. Gerührt, beschämt von diesem neuen Schutz, Ergreift ihr Herz mit dankbarlichem Beben Dieß Pfand von ihres Sohns und ihres Hüons Leben, Und beut mit ihm nun jedem Schicksal Trutz.

13
Ach! wüßte sie, was ihr (zu ihrem Glücke) Verborgen bleibt, wie trostlos diese Nacht Ihr unglücksel’ger Freund, mit siebenfachem Stricke An einen Eichenstamm gebunden, zugebracht, Wie bräch’ ihr Herz!–Und Er, vor dessen Augenblitze Nichts dunkel ist, der gute Schutzgeist, weilt? Er steht, am Quell des Nils, auf einer Felsenspitze, Die, ewig unbewölkt, die reinsten Lüfte theilt.

14
Den ernsten Blick dem Eiland zugekehrt, Wo Hüon schmachtet, steht der Geisterfürst, und hört Sein Ächzen, das aus tiefer Ferne
Zu ihm herüber bebt,–schaut nach dem Morgensterne, Und hüllt sich seufzend ein. Da nähert, aus der Schaar Der Geister, die theils einzeln, theils in Ringen, ihn überall begleiten und umschwingen,
Sich einer ihm, der sein Vertrauter war.

15
Erblassend, ohne Glanz, naht sich der Sylfe, blickt Ihn schweigend an, und seine Augen fragen Dem Kummer nach, der seinen König drückt; Denn Ehrfurcht hält ihn ab die Frage laut zu wagen. Schau auf, spricht Oberon. Und mit dem Worte weist In einer Wolke, die mit ausgespanntem Flügel Vorüber fährt, sich dem bestürzten Geist Des armen Hüons Bild als wie in einem Spiegel.

16
Versunken in der tiefsten Noth,
An seines Herzens offnen Wunden
Verblutend, steht er da, verlassen und gebunden Im öden Wald, und stirbt den langen Martertod. In diesem hoffnungslosen Stande
Schwellt seine Seele noch das zürnende Gefühl: “Verdient’ ich das? verdiente das Amande? Ist unser Elend nur den höhern Wesen Spiel?

17
“Wie untheilnehmend bleibt bey meinem furchtbarn Leiden, Wie ruhig alles um mich her!
Kein Wesen fühlt mit mir; kein Sandkorn rückt am Meer Aus seinem Platz, kein Blatt in diesen Laubgebäuden Fällt meinetwegen ab. Ein scharfer Kiesel wär’ Um meine Bande durchzuschneiden
Genugsam–ach! im ganzen Raum der Zeit Ist keine Hand, die ihm dazu Bewegung leiht!

18
“Und doch, wenn meine Noth zu wenden Dein Wille wär’, o Du, der mich dem Tod so oft Entrissen, wenn ich es am wenigsten gehofft, Es würden alle Zweig’ in diesem Wald zu Händen Auf deinen Wink!”–Ein heil’ger Schauder blitzt Durch sein Gebein mit diesem Himmelsfunken; Die Stricke fallen ab; er schwankt, wie nebeltrunken, In einen Arm, der ihn unsichtbar unterstützt.

19
Es war der Geist, dem Oberon die Geschichte Des treuen Paars im Bilde sehen ließ,
Der diesen Dienst ihm ungesehn erwies. Der Sohn des Lichts erlag dem kläglichen Gesichte. Ach! rief er, inniglich betrübt,
Und sank zu seines Meisters Füßen,
So strafbar als er sey, kannst du, der ihn geliebt, Vor seiner Noth dein großes Herz verschließen?

20
Der Erdensohn ist für die Zukunft blind, Erwiedert Oberon: wir selbst, du weißt es, sind Des Schicksals Diener nur. In heil’gen Finsternissen, Hoch über uns, geht sein verborgner Gang; Und, willig oder nicht, zieht ein geheimer Zwang Uns alle, daß wir ihm im Dunkeln folgen müssen. In dieser Kluft, die mich von Hüon trennt, Ist mir ein einzigs noch für ihn zu thun vergönnt.

21
Fleug hin, und mach’ ihn los, und trag’ ihn auf der Stelle, So wie er ist, nach Tunis, vor die Schwelle Des alten Ibrahim, der, nahe bey der Stadt, Die Gärten des Serai’s in seiner Aufsicht hat. Dort leg’ ihn auf die Bank von Steinen,
Hart an die Hüttenthür, und eile wieder fort: Doch hüte dich ihm sichtbar zu erscheinen, Und mach’ es schnell, und sprich mit ihm kein Wort.

22
Der Sylfe kommt, so rasch ein Pfeil vom Bogen Das Ziel erreicht, bey Hüon angeflogen,
Löst seine Bande auf, beladet sich mit ihm, Und trägt ihn, über Meer und Länder, durch die Lüfte Bis vor die Thür des alten Ibrahim;
Da schüttelt er von seiner starken Hüfte Ihn auf die Bank, so sanft als wie auf Pflaum. Dem guten Ritter däucht was ihm geschieht ein Traum.

23
Er schaut erstaunt umher, und sucht sich’s wahr zu machen: Doch alles was er sieht bestätigt seinen Wahn. Wo bin ich? fragt er sich, und fürchtet zu erwachen. Indem beginnt, nicht fern von ihm, ein Hahn Zu krähn, und bald der zweyte und der dritte; Die Stille flieht, des Himmels goldnes Thor Eröffnet sich, der Gott des Tages geht hervor, Und alles lebt und regt sich um die Hütte.

24
Auf einmahl knarrt die Thür, und kommt ein langer Mann Mit grauem Bart, doch frisch und roth von Wangen, Ein Grabscheit in der Hand, zum Haus heraus gegangen; Und beide sehn zugleich, was keiner glauben kann, Herr Hüon seinen treuen Alten
In einem Sklavenwamms–der gute Scherasmin Den werthen Herrn, den er für todt gehalten, In einem Aufzug, der nicht glückweissagend schien.

25
Ist’s möglich? rufen alle beide
Zu gleicher Zeit–“Mein bester Herr!”–“Mein Freund!” “Wie finden wir uns hier?”–Und, außer sich vor Freude, Umfaßt der alte Mann des Prinzen Knie, und weint Auf seine Hand. Ihn herzlich zu umfangen Bückt Hüon sich zu ihm herunter, hebt
Ihn zu sich auf, und küßt ihn auf die Wangen. Gott Lob, ruft Scherasmin, nun weiß ich daß ihr lebt!

26
Was für ein guter Wind trug euch vor diese Schwelle? Doch zum Erzählen ist der Ort hier nicht geschickt; Kommt, lieber Herr, mit mir in meine Zelle, Eh’ jemand hier beisammen uns erblickt.
Auf allen Fall seyd ihr mein Neffe Hassan, (flüstert Er ihm ins Ohr) ein junger Handelsmann
Von Halep, der die Welt zu sehn gelüstert, Und Schiffbruch litt, und mit dem Leben nur entrann.

27
Ja, leider! blieb mir nichts, seufzt Hüon, als ein Leben Das keine Wohlthat ist!–Das wird sich alles geben, Erwiedert Scherasmin, und schiebt sein Kämmerlein Ihm hurtig auf, und schließt sich mit ihm ein. Da, spricht er, nehmet Platz; bringt dann auf einem Teller Das beste, was sein kleiner Vorrathskeller Vermag, herbey, Oliven, Brot und Wein,
Und setzt sich neben ihn, und heißt ihn fröhlich seyn.
28
Mein bester Herr, daß wir, nach allen Streichen Die uns das Glück gespielt, so unvermuthet hier Zu Tunis, vor der Hüttenthür
Des Gärtners Ibrahim uns finden, ist ein Zeichen, Daß Oberon ganz unvermerkt und still
Uns alle wiederum zusammen bringen will. Noch fehlt das Beste; doch, zum Pfande für Amanden, Ist wenigstens die Amme schon vorhanden.

29
Was sagst du? ruft Herr Hüon voller Freuden. Demselben Ibrahim, dem ich bedienstet bin, Dient sie als Sklavin hier, erwiedert Scherasmin. Wie wird das gute Weib die Augen an euch weiden! Drauf fängt er ihm Bericht zu geben an,
Was er in all’ der Zeit gelitten und gethan, Und was ihn, unverrichter Sachen,
Bewogen, von Paris sich wieder wegzumachen.

30
Und wie er ihn zu Rom im Lateran gesucht, Und, seiner dort viel Wochen ohne Frucht Erwartend, unvermerkt sein Bißchen Geld verzettelt, Darauf, mit Muscheln ausstaffiert,
Sich durch die halbe Welt als Pilger durchgebettelt, Bis ihn sein guter Geist zuletzt hierher geführt, Wo Fatme, die er unverhofft gefunden,
Auf beßre Zeit mit ihm zu harren sich verbunden.

31
Zum Glück ist immer unversehrt
(Setzt er hinzu) das Kästchen mitgezogen, Das euch der schöne Zwerg zu Askalon verehrt; Denn, wie ich sehe, Horn und Becher sind entflogen. Verzeiht mir, lieber Herr! ich traf den wunden Ort; Es war nicht hübsch an mir so frey heraus zu platzen: Die Freude, daß ich euch gefunden, macht mich schwatzen; Allein, ihr kennt mein Herz, und weiter nun kein Wort!

32
Der edle Fürstensohn drückt seinem guten Alten Die Hand, und spricht: Ich kenne deine Treu’, Sollst alles wissen, Freund! ich will dir nichts verhalten; Allein, vor allem, steh in Einem Ding mir bey. Das Kästchen, das du mir erhalten,
Ist an Juwelen reich. Denkst du nicht auch, es sey Am besten angewandt, mir eilends Pferd und Waffen Und ritterlichen Schmuck in Tunis anzuschaffen?

33
Es sind zwölf Stunden kaum, seit eine Räuberschaar Amanden mir entriß, mir, der am ödsten Strande Allein mit ihr und unbewaffnet war.
Sie führen sie vielleicht in diese Mohrenlande, Nach Marok oder Fez, gewiß nach einem Platz, Wo Hoffnung ist, sie theuer zu verkaufen: Allein kein Harem soll mir meinen höchsten Schatz Entziehen, sollt’ ich auch die ganze Welt durchlaufen.

34
Der Alte sinnt der Sache schweigend nach. “Die Gegend, wo ihr euch mit Rezia befunden, Ist also wohl nur wenig Stunden
Von hier entfernt?”–Nicht daß ich wüßte, sprach Der junge Fürst; vielleicht sind’s tausend Stunden: Mich trug, unendlich schnell, ich weiß nicht wer, (Doch wohl ein Geist) aus einem Wald hierher, Wo mich das Räubervolk an einen Baum gebunden.

35
Das hat, ruft jener aus, kein andrer Arm gethan Als Oberons. Ich selber, spricht der Ritter, Ich trau’ ihm’s zu, und nehm’s als ein Versprechen an, Er werde mehr noch thun. So bitter
Die Trennung ist, so schreckenvoll das Bild Des holden Weibs in wilden Räuberklauen; Dieß neue Wunder, Freund, erfüllt
Mein neu belebtes Herz mit Hoffnung und Vertrauen.

36
Der müßte ja ganz herzlos, ganz von Stein, Und ohne Sinn, und gänzlich unwerth seyn Daß sich der Himmel seinetwegen
Bemühe, (hätt’ er auch von dem die Hälfte nur Erfahren, was mir widerfuhr)
Wer Kleinmuth und Verdacht zu hegen Noch fähig wär’. Es geh’ durch Feuer oder Flut Mein dunkler Weg, ich halte Treu’ und Muth.

37
Nur, lieber Scherasmin, wenn’s möglich ist, noch heute Verschaffe mir ein Schwert und einen Gaul. Zu lang’ entbehr’ ich beides!–an der Seite Der Liebe zwar–doch itzt, in dieser Weite Von Rezia, däucht mir mein Herzblut stehe faul Als wie ein Sumpf, bis ich die schöne Beute Den Helden abgejagt. Ihr Leben und mein Glück, Bedenk’ es, hängt vielleicht an einem Augenblick.

38
Der Alte schwört ihm zu, es soll’ an ihm nicht liegen Des Prinzen Ungeduld noch heute zu vergnügen. Doch unverhofft hält seines Eifers Lauf
Am ersten Abend schon ein leidiger Zufall auf. Denn Hüon fühlte von so viel Erschütterungen, Die Schlag auf Schlag gefolgt, auf einmahl sich bezwungen, Und brachte, matt und glühend, ohne Ruh, Die ganze Nacht in Fieberträumen zu.

39
Die Bilder, die ihm stets im Sinne lagen, Beleben sich; er glaubt mit einem Schwarm Von Feinden sich ergrimmt herum zu schlagen; Dann sinkt er kraftlos hin, und drückt im kalten Arm Die Leiche seines Sohns; bald kämpft er mit den Fluten, Hält die versinkende Geliebte nur am Saum Des Kleides noch; bald, selbst an einen Baum Gebunden, sieht er sie in Räuberarmen bluten.

40
Erschöpft von Grimm und Angst stürzt er aufs Lager hin Mit starrem Blick. Dem treuen Scherasmin Kommt seine Wissenschaft in dieser Noth zu Statten. Denn dazumahl war’s eines Knappen Amt
Die Heilkunst mit der Kunst der Ritterschaft zu gatten. Ihm war sie schon vom Vater angestammt,
Und viel geheimes ward auf seinen langen Reisen Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weisen.

41
Er eilt, so bald der schöne Morgenstern Am Himmel bleicht, (indeß bey dem geliebten Herrn Als Wärterin sich Fatme emsig zeiget)
Den Gärten zu, worin noch alles ruht und schweiget; Sucht Kräuter auf, von deren Wunderkraft Ein Eremit auf Horeb ihn belehret,
Und drückt sie aus, und mischet einen Saft, Der binnen kurzer Frist dem stärksten Fieber wehret.

42
Ein sanfter Schlaf beginnt schon in der zweyten Nacht Auf Hüons Stirne sich zu senken.
Mit liebevoller Treu’ gepfleget und bewacht, Und reichlich angefrischt mit kühlenden Getränken, Fühlt er am vierten Tag so gut sich hergestellt, Um sich, so bald der Mond die laue Nacht erhellt, In einem Gärtnerwamms, womit man ihn versehen, Mit Scherasmin im Garten zu ergehen.

43
Sie hatten in den Rosenbüschen,
Nah an der Hütte, noch nicht manchen Gang gethan, So kommt die Amme (die, was neues aufzufischen, Sich oft dem Harem naht) mit einer Zeitung an, Die kräft’ger ist als irgend ein Laudan
Des Kranken Blut und Nerven zu erfrischen: Es sey, versichert sie, beynahe zweifelsfrey Daß Rezia nicht fern von ihnen sey.

44
Wo ist sie? wo? ruft Hüon mit Entzücken Und Ungeduld, auffahrend–Hurtig! sprich! Wo sahst du sie?–Gesehn? erwiedert Fatme, ich? Das sagt’ ich nicht; allein, ich lasse mich zerstücken Wenn’s nicht Amanda ist, die diesen Abend hier Gelandet. Höret nur, was die Minute mir
Die Jüdin Salome, die eben
Vom innern Harem kam, für ganz gewiß gegeben.

45
Kurz, sprach sie, vor der Abendzeit Ließ auf dem hohen Meer sich eine Barke sehen; Sie flog daher mit Vogelsschnelligkeit,
Die Segel schien ein frischer Wind zu blähen. Auf einmahl stürzt aus wolkenlosen Höhen Zickzack ein feur’ger Strahl herab,
Und mit dem ersten Stoß, den ihm ein Sturmwind gab, Sieht man das ganze Schiff in voller Flamme stehen.

46
An Löschen denkt kein Mensch in solcher Noth. Das Feuer tobt. Vom fürchterlichsten Tod Umschlungen, springt aus seinem Flammenrachen Wer springen kann, und wirft sich in den Nachen. Der Wind macht bald sie von dem Schiffe los, Treibt sie dem Ufer zu; doch, eine Viertelstunde Vom Strand, ergreift den Kahn ein neuer Wirbelstoß, Und stürzt ihn um, und alles geht zu Grunde.

47
Die Leute schrey’n umsonst zu ihrem Mahom auf, Arbeiten, mit der angestrengten Stärke
Der Todesangst, umsonst sich aus der Flut herauf: Nur eine einz’ge Frau, die sich zum Augenmerke Der Himmel nahm, entrinnet der Gefahr,
Wird auf den Wellen, wie auf einem Wagen, Ganz unversehrt, und unbenetzt sogar,
Dem nahen Ufer zugetragen.

48
Von ungefähr stand mit Almansaris
Der Sultan just auf einer der Terrassen Des Schlosses, die hinaus ins Meer sie sehen ließ, Erwartungsvoll den Ausgang abzupassen.
Ein sanfter Zefyr schien die Frau herbey zu wehn. Doch, um sich nicht zu viel auf Wunder zu verlassen, Winkt itzt Almansaris, und hundert Sklaven gehn Bis an den Hals ins Meer, der Schönen beyzustehn.

49
Man sagt, der Sultan selbst sey an den Strand gekommen, Und habe sie, von einem Idschoglan,
Der aus dem strudelnden Schaum bis zur Terraß’ hinan Sie auf dem Rücken trug, selbst in Empfang genommen. Man konnte zwar nicht hören was er sprach, Doch schien er ihr viel höfliches zu sagen, Und, weil’s an Zeit und Freyheit ihm gebrach, Sein Herz ihr, wenigstens durch Blicke, anzutragen.

50
Wie dem auch sey, dieß ist gewiß,
(Fährt Fatme fort) daß sich Almansaris Der schönen Schwimmerin gar freundlich und gewogen Bewiesen hat, und ihr viel schönes vorgelogen, Wiewohl der Fremden seltner Reitz
Ihr gleich beym ersten Blick Almansors Herz entzogen; Und daß sie ein Gemach bereits
Im Sommerhaus der Königin bezogen.

51
Angst, Freude, Lieb’ und Schmerz, mahlt, während Fatme spricht, Sich wechselsweis’ in Hüons Angesicht.
Daß es Amanda sey, scheint ihm, je mehr er denket, Je minder zweifelhaft. Es zeigt sich sonnenklar, Daß Oberon, wiewohl noch unsichtbar,
Die Zügel seines Schicksals wieder lenket. Wohlan denn, Freunde, rathet nun,
Was meinet ihr? was ist nunmehr zu thun?

52
Dem Sultan mit Gewalt Amanden zu entreißen, Das würde Roland selbst nicht wagen gut zu heißen, Erwiedert Scherasmin; wiewohl es rathsam ist, Uns insgeheim, auf alles was geschehen
Und nicht geschehen kann, mit Waffen zu versehen. Doch vor der Hand versuchen wir’s mit List! Wie, wenn ihr, da ihr euch doch nicht des Grabens schämet, Bey Ibrahim als Gärtner Dienste nähmet?

53
Gesetzt, er macht auch Anfangs Schwierigkeit, Er sieht euch schärfer an, und schüttelt Sein weises Haupt; mir ist dafür nicht leid: Ein schöner Diamant hat manches schon vermittelt. Laßt diese Sorge mir, Herr Ritter! Zwischen heut Und morgen sehn wir euch, trotz aller Schwierigkeit, Zu einem Gärtnerschurz betitelt;
Das weit’re überlaßt dem Himmel und der Zeit.

54
Der Vorschlag däucht dem Ritter wohl ersonnen, Und wird nun ungesäumt und klüglich ausgeführt. Der alte Ibrahim ist bald so gut gewonnen, Daß er den Paladin zum Neffen adoptiert, Zu seinem Schwestersohn, der von Damask gekommen, Und in der Blumenzucht besonders viel gethan; Kurz, Hüon wird zum Gärtner angenommen,
Und tritt sein neues Amt mit vielem Anstand an.

Eilfter Gesang.

1
Die Hoffnung, die ihr schimmerndes Gefieder Um Hüon wieder schwingt, Sie, die er einzig liebt, Bald wieder sein zu sehn, die goldne Hoffnung giebt Ihm bald den ganzen Glanz der schönsten Jugend wieder. Schon der Gedanke bloß, daß sie so nah ihm ist, Daß dieses Lüftchen, das ihn kühlet,
Vielleicht Amandens Wange kaum geküßt, Vielleicht um ihre Lippen kaum gespielet;

2
Daß diese Blumen, die er bricht
Und mahlerisch in Kränz’ und Sträuße flicht, Um in den Harem sie, wie üblich ist, zu schicken, Vielleicht Amandens Locken schmücken,
Ihr schönes Leben vielleicht an ihrer lieblichen Brust Verduften,–der Gedank’ erfüllt ihn mit Entzücken; Das schöne Roth der Sehnsucht und der Lust Färbt wieder seine Wang’ und strahlt aus seinen Blicken.

3
Die heiße Tageszeit vertritt das Amt der Nacht In diesem Land, und wird verschlummert und verträumet. Allein, so bald der Abendwind erwacht,
Fragt Hüon, den die Liebe munter macht, Schon alle Schatten an, wo seine Holde säumet? Er weiß, die Nacht wird hier mit Wachen zugebracht; Doch darf sich in den Gärten und Terrassen Nach Sonnenuntergang nichts männlichs sehen lassen.

4
Die Damen pflegen dann, beym sanften Mondesglanz Bald paarweis’, bald in kleinen Rotten,
Die blühenden Alleen zu durchtrotten; Und ziert die Fürstin selbst den schönen Nymfenkranz, Dann kürzt Gesang und Saitenspiel und Tanz Die träge Nacht; drauf folgt in stillen Grotten Ein Bad, zu dem Almansor selbst (so scharf Gilt hier des Wohlstands Pflicht) sich niemahls nähern darf.

5
Amanden (die, wie unser Ritter glaubte, Im Harem war) zu sehn, blieb keine Möglichkeit, Wofern er nicht sich um die Dämm’rungszeit Im Garten länger säumt als das Gesetz erlaubte. Er hatte dreymahl schon die unruhvollste Nacht In einem Busch an dem vorbey zu gehen
Wer aus dem Harem kam genöthigt war, durchwacht, Gelauscht, geguckt, und ach! Amanden nicht gesehen!

6
Fußfällig angefleht von Fatme, Ibrahim Und Scherasmin, ihr und sein eignes Leben So offenbar nicht in Gefahr zu geben,
Wollt’ er, wiewohl der Sonnenwagen ihm Zu schnell hinab gerollt, am vierten Abend (eben Zur höchsten Zeit) sich noch hinweg begeben, Als plötzlich, wie er sich um eine Hecke dreht, Almansaris ganz nahe vor ihm steht.

7
Sie kam, gelehnt an ihrer Nymfen eine, Um, lechzend von des Tages strengem Brand, Im frischen Duft der Pomeranzenhaine
Sich zu ergehn. Ein leichtes Nachtgewand, So zart als hätten Spinnen es gewebet,
Umschattet ihren Leib, und nur ein goldnes Band Schließt’s um den Busen zu, der durch die dünne Wand Mit schöner Ungeduld sich durchzubrechen strebet.

8
Nie wird die Bildnerin Natur
Ein göttlicher Modell zu einer Venus bauen Als diesen Leib. Sein reitzender Kontur
Floß wellenhaft, dem feinsten Auge nur Bemerklich, zwischen dem Genauen
Und Überflüssigen, so weich, so lieblich hin, Schwer war’s dem kältsten Josefssinn,
Sie ohne Lüsternheit und Sehnsucht anzuschauen!

9
Es war in jedem Theil, was je die Fantasie Der Alkamenen und Lysippen
Sich als das Schönste dacht’ und ihren Bildern lieh; Es war Helenens Brust, und Atalantens Knie, Und Leda’s Arm, und Erigonens Lippen.
Doch bis zu jenem Reitz erhob die Kunst sich nie, Der stets, so bald dazu die Lust in ihr erwachte, Sie zur Besiegerin von allen Herzen machte.

10
Der Geist der Wollust schien alsdann Mit ihrem Athem sich den Lüften mitzutheilen, Die um sie säuselten. Von Amors schärfsten Pfeilen Sind ihre Augen voll, und wehe dann dem Mann, Der mit ihr kämpfen will! Denn, könnt’ er auch entgehen Dem feurig schmachtenden Blick, der ihn so lieblich kirrt, Wie wird er diesem Mund voll Lockungen, wie wird Er seinem Lächeln widerstehen?

11
Wie dem Sirenenton der zauberischen Stimme, Der des Gefühls geheimste Saiten regt?
Der in der Seele Schooß die süße Täuschung trägt, Als ob sie schon in Wollustseufzern schwimme? Und wenn nun, eh’ vielleicht die Weisheit sich’s versah, Verräth’risch jeder Sinn, zu ihrem Sieg vereinigt, Den letzten Augenblick der Trunkenheit beschleunigt: O sagt, wer wäre dann nicht seinem Falle nah?

12
Doch, ruhig! Fern ist noch und ungewiß vielleicht Der Schiffbruch, der uns itzt fast unvermeidlich däucht. Zu fliehen–sonst auf alle Fälle
Das klügste–ging in diesem Augenblick Nicht an–sie war zu nah–wiewohl an Hüons Stelle Ein wahrer Gärtner doch geflohen wär’. Zum Glück, Hilft, falls sie fragt, ein Korb mit Blumen und mit Früchten, Den er im Arme trägt, ihm eine Antwort dichten.

13
Natürlich stutzt die schöne Königin, In ihrem Wege hier auf einen Mann zu treffen. Was machst du hier? fragt sie den Paladin Mit einem Blick, der jedem andern Neffen Des alten Gärtners tödtlich war.
Doch Hüon, unterm Schirm gesenkter Augenlieder, Läßt auf die Kniee sich mit edler Ehrfurcht nieder, Und stellt den Blumenkorb ihr als ein Opfer dar.

14
Er hatte, (spricht er) bloß es ihr zu überreichen, Die Zeit versäumt, die allen seines gleichen Die Gärten schließt. Hat er zu viel gethan, So mag sein Kopf den raschen Eifer büßen. Allein die Göttin scheint in einen mildern Plan Vertieft, indeß zu ihren Füßen
Der schöne Frevler liegt. Sie sieht ihn gütig an, Und scheint mit Mühe sich zum Fortgehn zu entschließen.

15
Den schönsten Jüngling, den sie jemahls sah–und schön Wie Helden sind, mit Kraft und Würde–fremde Der Farbe nach–in einem Gärtnerhemde–
Dieß schien ihr nicht natürlich zuzugehn. Gern hätte sie mit ihm sich näher eingelassen, Hielt’ nicht der strenge Zwang des Wohlstands sie zurück. Sie winkt ihm endlich weg; doch scheint ein Seitenblick, Der ihn begleitet, viel, sehr viel in sich zu fassen.

16
Sie schreitet langsam fort, stillschweigend, dreht sogar Den schönen Hals, ihm hinten nachzusehen, Und zürnt, daß er dem Wink so schnell gehorsam war. War er, den Blick, der ihn erklärte, zu verstehen, Zu blöde? Fehlt’s vielleicht der reitzenden Gestalt An Seele? Trügt das ungeduld’ge Feuer
In seinem Auge? Macht Gefahr ihn kalt? Wie, oder sucht’ er hier ein andres Abenteuer?

17
Ein andres?–Dieser Zweifel hüllt
Ihr plötzlich auf, was sie sich selber zu gestehen Erröthet. Unruhvoll, verfolgt von Hüons Bild, Irrt sie die ganze Nacht durch Lauben und Alleen, Horcht. Jedem Lüftchen das sich regt
Entgegen, jedem Blatt, das an ein andres schlägt: Still! spricht sie zur Vertrauten, laß uns lauschen! Mir däucht, ich hörte was durch jene Hecke rauschen.

18
Es ist vielleicht der schöne Gärtner, spricht Die schlaue Zof’: er ist, wofern mich alles nicht An ihm betrügt, der Mann sein Leben dran zu setzen, Um hier, im Hinterhalt, an einen Busch gedrückt, Mit einem Anblick sich noch einmahl zu ergetzen, Der ihn ins Paradies verzückt.
Wie wenn wir ihn ganz leise überraschten, Und auf der frischen That den schönen Frevler haschten?

19
Schweig, Närrin, spricht die Haremskönigin; Du faselst, glaub’ ich, gar im Traume?
Und gleichwohl richtet sie geraden Wegs zum Baume, Woher das Rauschen kam, die leichten Schritte hin. Es war ein Eidechs nur gewesen,
Der durchs Gesträuch geschlüpft.–Ein Seufzer, halb erstickt, Halb in den Strauß, den sie zum Munde hielt, gedrückt, Bekräftigt was Nadin’ in ihrem Blick gelesen.

20
Unmuthig kehrt sie um, und mit sich selbst in Zwist, Beißt sich die Lippen, seufzt, spricht etwas, und vergißt Beym dritten Wort schon was sie sagen wollte, Zürnt, daß Nadine nicht die rechte Antwort giebt, Und nicht erräth, was sie errathen sollte; Die schöne Dame ist, mit Einem Wort–verliebt! Sogar ihr Blumenstrauß erfährt’s–wird, ohn’ ihr Wissen, Zerknickt, und, Blatt für Blatt, verzettelt und zerrissen.

21
Drey Tage hatte nun das Übel schon gewährt, Und war, durch Zwang und Widerstand genährt, Mit jeder Nacht, mit jedem Morgen schlimmer Geworden. Denn, so bald der Abendschimmer Die bunten Fenster mahlt, verläßt sie ihre Zimmer, Und streicht, nach Nymfen-Art, mit halb entbundnem Haar, Durch alle Gartengäng’ und Felder, wo nur immer Den Neffen Ibrahims zu finden möglich war.

22
Allein, vergebens lauscht’ ihr Blick, vergebens pochte Ihr Busen Ungeduld: der schöne Gärtner ließ Sich nicht mehr sehn, was auch die Ursach’ heißen mochte. Unglückliche Almansaris!
Dein Stolz erliegt. Wozu dich selbst noch länger quälen, (Denkt sie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß Es lange merkt, aus Eigensinn verhehlen? Verheimlichung heilt keinen Schlangenbiß.

23
Sie wähnt, sie suche Trost an einer Freundin Busen; Doch was sie nöthig hat ist eine Schmeichlerin. In dieser Hofkunst war Nadine Meisterin. Der Saft von allen Pompelmusen
In Afrika erfrischte nicht so gut
Der wollustathmenden Sultanin gährend Blut, Als dieser Freundin Rath und zärtliches Bemühen, Den Mann, den sie begehrt, bald in ihr Netz zu ziehen.
24
Um Mitternacht und bey verschloßnen Thüren Ihn in den Theil des Harems einzuführen
Worin Almansaris ganz unumschränkt befahl, Schien nicht so schwierig, seit der Sultan, ihr Gemahl, Der Leidenschaft zur schönen Zoradinen
(Wie sich die junge Fremde hieß
Die durch ein Wunder jüngst an diesem Strand erschienen) Ganz öffentlich und frey sich überließ.

25
Die Amme hatte sich im Schließen nicht betrogen; Es war Amanda selbst, die aus der Räuber Macht Titania durch einen Blitz gezogen
Und unverletzt an diesen Strand gebracht. Ihr wißt, was sich begab als sie ans Land gekommen; Wie ihr Almansor stracks sein flüchtig Herz geweiht, Und wie mit neidischer verstellter Zärtlichkeit Almansaris sie aufgenommen.

26
Der Sultan war vielleicht der allerschönste Mann Auf den die Sonne je geschienen,
Und wußte dessen sich so siegreich zu bedienen, Daß ihm noch nie ein weiblich Herz entrann. Zum ersten Mahl bey dieser Zoradinen
Verlor er seinen Ruhm. Für Sie ist nur Ein Mann Auf Erden; Sie hat keine Augen, keinen
Gedanken, keinen Sinn, als nur für diesen Einen.

27
Die Würde ohne Stolz, die edle Sicherheit, Die anstandvolle, unterstellte
Gleichgültigkeit und ungezwungne Kälte, Womit sie ihn, der hier befehlen kann, so weit Von sich zu halten weiß, daß er, wie sehr er brennet, Ihr kaum durch einen stummen Blick
Zu klagen wagt,–dieß alles sieht und nennet Almansaris der Buhlkunst Meisterstück.

28
Gewohnt, des Sultans Herz nach ihrer Lust zu drehen, Zu herrschen über ihn, im Harem unbeschränkt Zu herrschen, könnte sie den Zepter ungekränkt Von dieser Fremden aus der Hand sich spielen sehen? Zwar leiht sie ihrem Haß ein lächelndes Gesicht, Und thut als zweifle sie an Zoradinen nicht; Doch überall ist’s in des Harems Mauern
Verborgner Augen voll, die all ihr Thun belauern.

29
Allein, seitdem des schönen Gärtners Reitz Mit Amors schärfstem Pfeil ihr stolzes Herz durchdrungen, Hat Lustbegier die Eifersucht verschlungen. Ihr Ehrgeitz weicht nun einem süßern Geitz, Dem Geitz nach seinem Kuß. Ihn wieder zu besiegen Ist nun ihr einz’ger Stolz. Mag doch die ganze Welt Zu Zoradinens Füßen liegen,
Wenn Sie nur den sie liebt in ihren Armen hält!

30
Sie selbst befördert nun den Anschlag–Zoradinen, Entfernt von ihr, in einem andern Theil
Des Harems, den Almansor schon in Eil’ Für sie bereiten ließ, anständ’ger zu bedienen: Der Fremden wahrer Stand, wiewohl sie ihn noch nicht Gestanden, mache dieß zu einer Art von Pflicht; Beym ersten Anblick könn’ es keinem Aug’ entgehen, Sie sey gewohnt nichts über sich zu sehen.

31
Indem Almansaris, mit lust’ger Höflichkeit, Auf diese Weise sich in ihren eignen Zimmern Von einer Zeugin, die ihr lästig ist, befreyt, Läßt, ohne sich um sie, und wie sie sich die Zeit Vertreiben kann und will, im mindesten zu kümmern, Almansor, der nun ganz sich seiner Liebe weiht, Ihr freyen Raum, Entwürfe auszubrüten,
Wozu im Harem ihr sich hundert Hände bieten.

32
Unmäßig grämt indeß der schöne Gärtner sich, Daß ihm–der schon seit mehr als sieben Tagen Die Mauern, wo Amanda trau’rt, umschlich, (Denn daß sie trau’rt, das kann sein eignes Herz ihm sagen) Das holde Weib auch durch ein Gitter nur Zu sehn, nur ihres leichten Fußes Spur,
(Er würd’ ihn, o gewiß! aus tausenden erkennen!) Die unmitleidigen Gestirne noch mißgönnen.

33
Er wirft sich unmuthsvoll bey seinen Freunden hin: “Könnt ihr, wenn ihr mich liebt, denn keinen Weg ersinnen, Nur einen einz’gen Mund im Harem zu gewinnen, Der meinen Nahmen nur und daß ich nah ihr bin