Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums
Vorrede zu der zweiten Auflage
Die neue Auflage der ‘Roemischen Geschichte’ weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden.
Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war.
Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304´ Talern preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern. ————-
* Hier in Klammern im Text.
** Karte und Register sind hier weggelassen. ————-
Breslau, im November 1856
Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. Breslau, im Mai 1857
Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer besonderen Schrift (‘Die roemische Chronologie bis auf Caesar’. Zweite Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert. Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902. Meinem Freunde
Moritz Haupt
In Berlin
Erstes Buch
Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums
Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek de tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei oy megala nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla. Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. Thukydides
1. Kapitel
Einleitung
Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in hoeherem Sinne neu gestellt wird.
Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen “Riss” (R/e/gion) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach Westen.
Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein Zweig sind.
Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern erzaehlt werden.
2. Kapitel
Die aeltesten Einwanderungen in Italien Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur schlechterdings ausgeloescht.
Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehoeren.
Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos’ Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. ——————————————————- ^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen – ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender Stamm – wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst noch nicht folgen.
—————————————————————– Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter.
Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach – so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch- samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in Sparta. Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen.
Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos, griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois; sanskritisch aávas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch hansas, lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis, griechisch n/e/ssa, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur, kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnos ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als es geschehen ist.
Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos; sanskritisch veáas, lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens – sanskritisch naus, griechisch na?s, lateinisch navis – und des Ruders – sanskritisch aritram, griechisch eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- axa; sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die Benennungen des Kleides – sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch esth/e/s – und des Naehens und Spinnens – sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/ – sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet. ———————————————– ^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie botanique raisonnee. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). ^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. ———————————————– Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft. Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch áatam, ekaáatam, lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen ueberein – so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djaus pita der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Sarama, dem Sarameyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen Naturphantasie.
Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/ arotron, ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium melin/e/, rapa raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls poltos, pinso ptiss/o/, mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung “Weinland” (Oinotria), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6. ———————————————————- ^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch malunas, keltisch malirr.
Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als dies spaeter der Fall war.
^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber “Ernte” heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt.
——————————————————— Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, temenos von temn/o/) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des “Reibers” (tr?panon, terebra) und der “Unterlage” (storeys eschara, tabula, wohl von tendere, tetamai). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni – arquites) deutlich sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden. ————————————-
^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern entlehnt.
————————————- Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke – wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen.
Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. ———————————————– ^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen” (gamos epi paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ – matrimonium liberorum quaerendorum causa).
———————————————– Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die “Gesetze des Koenigs Italus”, die noch in Aristoteles’ Zeiten angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/), Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken der roemischen Verfassung – Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung – sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles’ Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben.
——————————————— ^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst.
——————————————— Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (temenos, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die “Religio”, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, hier die Notwendigkeit.
Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare Waffentanz, der “Sprung” (triumpus, thriambos, di- th?rambos); der Mummenschanz der “vollen Leute” (satyroi, satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden. So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. 3. Kapitel
Die Ansiedlungen der Latiner
Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt – eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker draengten. Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides’ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen.
Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war.
Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem “Bergstrom”, der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der “alten Latiner” (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die “Ebene” ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung jede frische Quelle.
———————————————————- ^1 Wie latus (Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die “Ebene” den Gegensatz bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. ^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma. —————————————————— Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten. Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten “Landquartiere” (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das “Haus” (oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen “Haus” (vicus) oder “Bezirk” (pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.
———————————————– ^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde. ————————————————- Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst in Italien “Hoehe” (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder “Wehr” (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und spaeterhin sich umgeben mit dem “Ringe” (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als “veroedete Staedte” mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre “Urbewohner” (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel.
Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist. Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das “latinische Fest” (feriae Latinae), an welchem auf dem “Berg von Alba” (mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem “latinischen Gott” (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt – sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft. ———————————————– ^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand” (indutiae Macr. Sat. 1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). ^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln. ———————————————– Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. 4. Kapitel
Die Anfaenge Roms
Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind. ———————————————– ^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus. ———————————————– Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer “teilen” und “Teil” regelmaessig sagen “dritteln” (tribuere) und “Drittel” (tribus) und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein – wahrscheinlich, da die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war, ein Teil der latinischen Nation. ———————————————————————- ^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170). ^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische tritt?s, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit nachzuweisen.
^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung. ————————————————— Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das “Wolfsfest” sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet hat. Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die “sieben Weiler” (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der “Muendung” (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot fuer den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5´ Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte “Einrichtung” (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der “Springer” (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der “Woelfe” (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen Gemeinde gewesen sein moegen. Dagegen hat sich in dem “Fest der sieben Berge” (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, angelehnt. Die “sieben Ringe” sind der Palatin selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder Subura, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae – welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst – in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die “Pfahlbruecke” (pons sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird – das Pontifikalkollegium allein buergt dafuer hinreichend – schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht hat.
Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet.
Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die “alte Burg” (Capitolium vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward – hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt werden. ———————————————— ^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht. ———————————————– Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische Stadt sich die “der sieben Berge”, ihre Buerger “die von den Bergen” montani) sich nennen, die Bezeichnung “Berg” wie an den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als “Huegel” (collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der “Huegel” ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend haftenden Namen der “Roemer” moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7. —————————————— ^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. ^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten Heiligtuemer auf diesem Berge – wo es uebrigens auch einen “latiarischen Huegel” gab – sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen. ——————————————————– So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien – es gab noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander – moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den “sieben Ringen” zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte.
5. Kapitel
Die urspruengliche Verfassung Roms
Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet – das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse.
Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne – mit Ausnahme der Missgeburten – und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, sein “eigenes Vieh” (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht;